Freitag, 14. Februar 2014

"Siegfried Anzinger" - Eröffnungsrede von Direktorin Ingried Brugger

Die Ausstellung im Bank Austria Kunstforum Wien ist eine Überraschung. Sie ist, denke ich, selbst für all jene eine Überraschung, die Anzingers künstlerischen Weg genauer verfolgt und begleitet haben. Und für uns, die wir Siegfried Anzinger immer wieder im Atelier besucht haben – den Entstehungsprozess der Ausstellung also quasi miterlebt haben – barg das Paket, das wir vor einigen Tagen im Kunstforum aufschnüren konnten, Unerwartetes und Neues.


Anzinger hatte sechs brandneue Leinwände mitgegeben, dafür anderes zu Hause gelassen. Er hat buchstäblich bis zum letzten Moment an der Ausstellung gemalt: Er hat die Ausstellung förmlich ins Kunstforum hineingemalt.

Keine Retrospektive sollte es werden, das war von vorneherein klar. Sondern ein Konzentrat dessen, was Anzingers Malerei aktuell ausmacht und vielleicht auch eine Schau, die

Zeugnis davon gibt, wohin die Perspektive einer großen und wichtigen Ausstellung einen Künstler zu treiben vermag, noch dazu einen, der wie Siegfried Anzinger das Zeitmaß seiner Malerei am Tagwerk, am Tagebuchhaften orientiert.

Ergänzt wurde dieses Hauptkapitel der Ausstellung um ausgewählte Arbeiten aus dem österreichischen Pavillion in den Giardini von Venedig, den der Künstler 1988 mit Furore bespielte. Es sind dies Arbeiten, in denen sich Anzinger von der Neu-Wilden Malerei bereits deutlich distanziert hatte. Diese Bilder stehen für eine malerische Kultur, die Anzinger in den folgenden Jahren verfeinert, verformt, verworfen und neu entstehen hat lassen.

Es sind eigentlich immer diese Bilder aus der Biennale Zeit gewesen, die mein Bild von Anzinger geprägt haben, auch in Kenntnis der künstlerischen Entwicklung der darauf folgenden Jahrzehnte.

Mit der Ausstellung im Bank Austria Kunstforum Wien hat sich das vollkommen geändert. Immer noch würde ich die Bilder aus den späten 1980er Jahren als Meisterwerke bezeichnen; allein das jüngst entstandene Werk überstrahlt dies alles, vielleicht auch deswegen, weil es von so starker Zeitgenossenschaft ist.


Sigfried Anzinger hat – und das in deutlichem Gegensatz zu den damaligen Mitstreitern innerhalb der Neuen Malerei in Österreich – die expressive Handschriftlichkeit zunehmend zurückgedrängt, ja in den letzten Jahren vollends aufgegeben und sein Ausdruckswollen hauchdünnen Schichten von Leimfarbe anvertraut, die er in erzählerische, teils fast comicartige figurative Bildwelten verpackt.

„Quatsch malen“, meint der Künstler dazu. Und er betont, dass es nicht so sehr um die Inhaltshaftigkeit geht, sondern dass die pointierten, bis zur Groteske gesteigerten Bildwelten, seine „Schießbudenmalerei“, den Anlassfall stellen für eine Malerei, die sich wie ein nie vollendetes Bühnenbild über die Welt legt.


Anzinger, der dem Virtuosen des Mediums Malerei skeptisch gegenübersteht, hat mit den Bildern im Kunstforum dem, was Malerei an Stimmungen, Schwingungen erzeugen kann, das Höchste abgerungen. Eine Malerei, der das Schwebende, die Luft und der Himmel eingeschrieben sind. Freskoartig schwingt sich diese Malerei in zartem Kolorit in ungeahnte Höhen.

Diese Malerei ist voll zauberhafter Schönheit, selbst dann, wenn sie das Abgründige betont. Und sie ist – bei aller Geschwindigkeit des Entstehungsprozesses – von einer koloristischen und formalen Sicherheit, die allein das wirkliche malerische Talent zu erzeugen vermag. Es sind monumetale, oftmals schwindelerregende Kompositionenen, in denen der sich über die Malerei legende zeichnende Kontur zu ungesehenen Konstellationen verdichtet und meist kürzelhaft eine Welt beschreibt, an der man sich nicht satt sehen kann.


Wer jetzt die Idylle erwartete, der irrte allerdings!

Exzessives Indianer-Treiben und Gefangene am Marterpfahl, Blowjobs verrichtende Squaws, der hadernde Heilige Hieronymus mit seinem Reisebegleiter, dem Löwen, Madonna mit Kind – ausgestattet mit Heiligenscheinen wie Kanaldeckeln -, eine monströse Pietá, lässig-lächerliche Cowboys mit rauchenden Colts, dumpe Westernhelden, lüsterne Nixen und Seefahrer, zerbrochene Kreuze und Gekreuzigte, eine schnelle Nummer auf hoher See: Anzingers Bilderwelt ist eine Welt voller Voyeurismen, in der das Sexuelle ebenso zur Groteske gerät wie der Blick auf die Religion oder auf die Indianer- und Westernwelt, die ja letztlich als ein ihrerseits verzerrtes Zerrbild unseres täglichen Tuns fungiert.

Gerade auch weil Anzinger mit der Ernsthaftigkeit im Umgang mit Bildthemen gebrochen hat, verstören und verunsichern diese Bilder. Das Lachen ist da, aber es gefriert einem im Gesicht.

Florian Steininger, der diese Ausstellung kuratiert hat, hat Anzingers Kunst zwischen Gus Backus und Giotto verortet. Zwischen der bewußten Banalität und auch Krassheit des Schlagersängers und der Apotheose der Malerei am Beginn der Frührenaissance. Letzterem könnte man noch Michelangelo hinzufügen, diesen Figurenverführer und –Verzerrer zwischen Hochrenaissance und Manierismus.

Anzingers Kunst bewegt sich zwischen einem High und einem Low, das die Welt so noch nicht gesehen hat. Mir fällt niemand ein, der das so kann, auch Pieter Doig nicht, den das an sich auch interessiert. Dies nur als Hinweis darauf, wohin Siegfried Anzinger gehört: auf das Schlachtfeld eines internationalen Diskurses über aktuelle Kunst. Und zwar im höchsten Offiziersrang. 


Anzingers Umgang mit seinen bevorzugten Themen gestaltet sich locker und frei. Ikonographien werden aufgelöst und neu zusammengesetzt.

Zum Beispiel: Marterpfahl und Kreuz. Bei Anzinger kommen diese so vollkommen verschiedenen Dinge zu einem gemeinsamen Finale. Und weder bei dem an den Pfahl gebundenen Mann, noch bei dem Gekreuzigten geht es tatsächlich um Folter, eher aber um Zärtlichkeit und Zuwendung. Um Zurschaustellung vielleicht, aber nicht um qualvolles Verenden. Und so ist auch das an das Kreuz genagelte Schwein, das im Bild begleitet wird von neugierigen beziehungsweise einem schlafenden Artgenossen, keine Blasphemie im herkömmlichen Sinn, sondern vielmehr eine hintergründig lustvolle Variante auf den Lebenskreis dieses Haustieres, das am Ende aufgehängt in einer Metzgerei landet.

Anzingers Bilder bewegen sich zwischen Hinrichtung und Auferstehung, zwischen böser Satire und liebevoller Ironie.

Ähnlich frei gestaltet sich Siegfried Anzingers Umgang mit der Kunstgeschichte. Nicht dass seine Malerei vor eindeutigen Anleihen strotzen würde. Aber selbstverständlich kennt Anzinger die Kunstgriffe großer Meister der Vergangenheit, die dann auch – vielfach verformt und verfremdet, in seine Kunst einfließen. Anzinger kennt die transitorische Wirkung der Freskomalerei vom Quatrocento bis hin zum Rokoko. Er bemüht die klassischen Kompositionen der Renaisance, um sie rustikal zu brechen, er weiß um das Herabstürzen, Schweben, Verschränken und Verschlingen manieristischer und barocker Raumgefüge. Immer jedoch sind es die Kraft von Anzingers Malerei und der schier unendliche narrative Erfindungsreichtum, die diese Anleihen aus der Kunstgeschichte brechen und transformieren.


Eine Ausstellung wie diese verdankt sich in erster Linie dem Künstler. Umso mehr als Siegfried Anzinger sich dafür entschied, uns eine grosso modo ganz neue Ausstellung zu liefern. Dies ist ein großes Geschenk, dem ich mit großem Respekt und mit Dankbarkeit gegenüber stehe.

Ich bedanke mich auch für die freundschaftliche Zusammenarbeit, für all die Diskussionen und Gespräche, die wir mit Dir führen durften. Wir waren Teil eines Entstehungsprozesses voller Leidenschaft und Selbstzweifel, ein Prozess, der in diese wunderbare Ausstellung gemündet ist.

Mein Dank geht weiter an die Leihgeber. Sie haben uns zu dieser spannenden Konfrontation zwischen dem Anzinger der Biennale-Zeit und dem aktuellen Anzinger verholfen.

Ich bedanke mich bei den Katalogautoren für ihre Beiträge, beim Atelier Heller für die grafische Gestaltung und beim Hatje-Cantz-Verlag für die vorliegende Publikation.

Die Gesellschaft der bildenden Künste Österreichs hat uns unterstützt. Herzlichen Dank dafür.

Ich danke meinem Team für seinen Einsatz.

Florian Steininger war Zentrum und Motor des Projekts. Ihm gilt mein herzlicher Dank.

Mein Dank richtet sich auch an alle Partner des Kunstforums - Signa, UniCredit Leasing, Pioneer, Schöllerbank, ERGO und card complete – sowie an unsere Medienpartner infoscreen, Falter, Die Presse, Ö1, the gap und viennaonline.

Ich wünsche Ihnen nun viel Spass mit den Sultans of Swing und freue mich auf die Ansprache von Markus Lüpertz.



Dankeschön!

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