Montag, 23. Mai 2016

Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche


In Wien haben vor allem Suderantentum und Kaffeehäuser Tradition. Gerne auch in Kombination. Dass der Begriff durchaus mehr umspannen darf, bewiesen am vergangenen Donnerstag Olga Neuwirth und Erwin Wurm, die die Traditions-Birne anknipsten um mit ihr Kunstbegriffe, Nestbeschmutzung und Frauenquoten zu beleuchten. Moderiert wurde von der Publizistin Johanna Zugmann.


Am Land aufgewachsen verbindet man mit Tradition gern das Brauchtum: Lederhose, Dirndl und Frühschoppen als allegorische Werte-Eckpfeiler. Olga Neuwirth, laut Standard immerhin die bedeutendste, zeitgenössische Komponistin, konnte mit diesem Referenzsystem ihres steirischen Heimatdorfes bereits in jungen Jahren wenig anfangen, wie sie erklärte. Die Angst vor dem Fremden ist für sie, damals wie heute, nur bedingt nachvollziehbar.

Erwin Wurm hingegen, der in der Arbeiterstadt Kapfenberg aufwuchs und 2017 den österreichischen Pavillon bei der Biennale in Venedig bespielen wird, hatte in seinen Jugendjahren nur bedingt Kontakt mit dieser Art von Volkstümlichkeit. Den Begriff Tradition verbindet er deswegen mehr mit seiner Ausbildung an der Angewandten: Ziehvater Bazon Brock vertrat die Position, dass sich die Tradition und die – inzwischen so nicht mehr existente – Avantgarde gemeinsam bedingen. Genealogien in der Kunst sind zwar oft verwischt, die Linien bei genauerer Betrachtung aber doch erkennbar, so Wurm. Jedes Kunstwerk ist in seinen historischen Kontext eingebettet und spricht somit die Sprache seiner Zeit. Oder um die Secessions-Worte Ludwig Hevesis zu bemühen: Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.






Im Umkehrschluss bedeutet diese Verankerung von Kunst im Kontext natürlich nicht, dass nur jene, die sich mit bereits Bestehenden beschäftigen, große Kunst hervorbringen können.



Neuwirth, die in dieser Subdiskussion nahe an die Frankfurter Schule rückt, sieht das Bestehende als genuines Element, das den Funken etwas zu erschaffen entfachen kann. Mahler beschwor die Tradition bereits als Weitergabe des Feuers und nicht als Anbetung der Asche.


In Oberösterreich wird über eine Brauchtumsklausel diskutiert. Die Werbung hält Claims wie „Zurück zum Ursprung“ für uns bereit und das monetäre Steckenpferd der österreichischen Musik ist die Volksmusik. Tradition tanzt mit dem Heimatbegriff und trumpft vor allem dort, wo sich Menschen in ihrer Sicherheit eingeschränkt fühlen. Laut Neuwirth ist diese Hinwendung zu einem homogenen Nationalen ein Irrweg. Lange in der USA lebend, lernte sie dort viel diversifiziertere, heterogene Heimatbegriffe kennen. Demnach spricht sie sich auch dezidiert dafür aus, diese konservative Vorstellung von Heimat aufzubrechen und porös zu machen, um für neue Heimaten Platz zu schaffen, die sich dann als Konglomerat selbst neu definieren.




Beide Geladenen sind sich einig, dass dies auch miteinschließen müsse, Frauen endlich mal so wirklich gleichzustellen, nicht von heuchlerischen Quoten zu reden, sondern eine gelebte und als echt empfundene Gerechtigkeit zu avisieren. Der Dalai Lama meinte diesbezüglich mal: „In manchen Regionen der Welt mag die Diskriminierung der Frau Tradition sein, Unrecht ist sie trotzdem“.







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