In
Wien haben vor allem Suderantentum und Kaffeehäuser Tradition. Gerne auch in
Kombination. Dass der Begriff durchaus mehr umspannen darf, bewiesen am
vergangenen Donnerstag Olga Neuwirth und Erwin Wurm, die die Traditions-Birne
anknipsten um mit ihr Kunstbegriffe, Nestbeschmutzung und Frauenquoten zu
beleuchten. Moderiert wurde von der Publizistin Johanna Zugmann.
Am
Land aufgewachsen verbindet man mit Tradition gern das Brauchtum: Lederhose,
Dirndl und Frühschoppen als allegorische Werte-Eckpfeiler. Olga Neuwirth, laut
Standard immerhin die bedeutendste, zeitgenössische Komponistin, konnte mit
diesem Referenzsystem ihres steirischen Heimatdorfes bereits in jungen Jahren
wenig anfangen, wie sie erklärte. Die Angst vor dem Fremden ist für sie, damals
wie heute, nur bedingt nachvollziehbar.
Erwin
Wurm hingegen, der in der Arbeiterstadt Kapfenberg aufwuchs und 2017 den
österreichischen Pavillon bei der Biennale in Venedig bespielen wird, hatte in seinen Jugendjahren nur bedingt Kontakt mit dieser Art von
Volkstümlichkeit. Den Begriff Tradition verbindet er deswegen mehr mit seiner
Ausbildung an der Angewandten: Ziehvater Bazon Brock vertrat die Position, dass
sich die Tradition und die – inzwischen so nicht mehr existente – Avantgarde
gemeinsam bedingen. Genealogien in der Kunst sind zwar oft verwischt, die
Linien bei genauerer Betrachtung aber doch erkennbar, so Wurm. Jedes Kunstwerk
ist in seinen historischen Kontext eingebettet und spricht somit die Sprache
seiner Zeit. Oder um die Secessions-Worte Ludwig Hevesis zu bemühen: Der Zeit
ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.
Im
Umkehrschluss bedeutet diese Verankerung von Kunst im Kontext natürlich nicht,
dass nur jene, die sich mit bereits Bestehenden beschäftigen, große Kunst
hervorbringen können.
Neuwirth,
die in dieser Subdiskussion nahe an die Frankfurter Schule rückt, sieht das
Bestehende als genuines Element, das den Funken etwas zu erschaffen entfachen
kann. Mahler beschwor die Tradition bereits als Weitergabe des Feuers und nicht
als Anbetung der Asche.
In
Oberösterreich wird über eine Brauchtumsklausel diskutiert. Die Werbung hält
Claims wie „Zurück zum Ursprung“ für uns bereit und das monetäre Steckenpferd
der österreichischen Musik ist die Volksmusik. Tradition tanzt mit dem
Heimatbegriff und trumpft vor allem dort, wo sich Menschen in ihrer Sicherheit
eingeschränkt fühlen. Laut Neuwirth ist diese Hinwendung zu einem homogenen
Nationalen ein Irrweg. Lange in der USA lebend, lernte sie dort viel
diversifiziertere, heterogene Heimatbegriffe kennen. Demnach spricht sie sich
auch dezidiert dafür aus, diese konservative Vorstellung von Heimat
aufzubrechen und porös zu machen, um für neue Heimaten Platz zu schaffen, die
sich dann als Konglomerat selbst neu definieren.
Beide
Geladenen sind sich einig, dass dies auch miteinschließen müsse, Frauen endlich
mal so wirklich gleichzustellen, nicht von heuchlerischen Quoten zu reden,
sondern eine gelebte und als echt empfundene Gerechtigkeit zu avisieren. Der
Dalai Lama meinte diesbezüglich mal: „In manchen Regionen der Welt mag die
Diskriminierung der Frau Tradition sein, Unrecht ist sie trotzdem“.
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