Martin Kippenberger ist Thema einer Lehrveranstaltung, die dieses Semester am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien abgehalten wird. Die Studierenden haben dieses Set von alternativen Wandtexten für die Kippenberger-Ausstellung verfasst. Wir finden das ganz großartig und wünschen viel Spaß beim Lesen!
Ich, Martin Kippenberger Superstar
"Dialog mit der Jugend" aus der 3-tlg. Serie Berlin bei Nacht, 1981 |
Ich
bevorzuge es, mit verschiedenen Medien zu arbeiten, Hauptsache alles dreht sich
um mich. Meine intensive Berliner Zeit thematisiere ich in Berlin bei Nacht, immer unterwegs und im rauschenden Dialog mit der
Punkszene. Als Reaktion auf meine beleidigten Kritiker und im Wissen um meine
provokative Selbstinszenierung stellte ich mich 1989 in die Ecke und schämte
mich. „I hate you“ fifteen times! Als Künstler muss ich das Kreuz und die Krone
selbst tragen, das Martyrium auf mich nehmen. Schaut hin und erkennt mich als
enfant terrific oder Kippenberger Superstar.
Lisa
Leutner, Laura Fuchs, Henriette Hochgatterer
Das Künstler-Chamäleon
Ertragsgebirge mit Wirtschaftswerten von Joseph Beuys I, 1985
|
Nach
der gescheiterten Schauspiel-Karriere entschied sich Martin Kippenberger die in
Florenz entstandenen Alltagsfotos im Stil Gerhard Richters auf Leinwände im
Werk Uno di voi, un tedescho in Firenze zu
übertragen – das stellt den Beginn seines malerischen Schaffens dar. Das war
jedoch nicht der einzige Bezug zu seinen Künstlerkollegen. 1996 vollendet er
als „Picasso-Reinkarnation“ dessen Werk indem er die Fotos von Jacqueline
Picasso malerisch umsetzte. Frei nach der Aussage Joseph Beuys’ „Wenn Ihr alle
meine Multiples habt, dann habt Ihr mich ganz“ versuchte Kippenberger in dem
Werk Ertragsgebirge mit Wirtschaftswerten
von Joseph Beuys I wieder einem Künstler näher zu kommen. Dies macht
deutlich, dass Kippenberger sich in seinem Œuvre immer wieder mit dem Werk
anderer Kunstschaffender auseinandersetzte und diese Eindrücke kreativ
verarbeitete.
Selin
Stütz, Barbara Marx, Sophie Abplanalp
Zuerst schauen dann lesen!
Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken, 1984
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Die
raumgreifende Installation Jetzt geh ich
in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald lässt uns eintauchen in
die Deutsche Geschichte. Die drei Gemälde J.A.F.,
Ich kann beim besten Willen kein
Hakenkreuz entdecken und Heil Hitler
Ihr Fetischisten begrenzen den Wald. Sie sind differenzierte Hinweise auf
Martin Kippenbergers Provokation mit Sprache und Bildgestaltung und zeigen auf
die deutsche Nachkriegszeit. Das Verknüpfen von Werk- und Titelebene
verdeutlicht das Wirken von Kippenbergers Sprachgebrauch, der hier die
Interpretation gezielt in eine Richtung lenkt. In diesem Sinne kritisiert er
die zu große Bedeutung, die Titeln bei der Betrachtung von Werken beigemessen
wird.
Mirabelle
Spreckelsen, Sophie Rosenberger, Marianna Nenning
Vision vom Buch
Wer diesen Katalog nicht gut findet muß sofort zum Arzt
(mit Werner Büttner, Albert Oehlen und Markus Oehlen
|
Die
Faszination am Wortspiel zeigt sich bei Kippenberger in allen Medien trotz
seiner Legasthenie. Insbesondere seine zahlreichen Kunstbücher vereinen die
unterschiedlichen Facetten der Person Kippenberger, Privates, Künstlerisches
und öffentliche Wirksamkeit treffen aufeinander. Die Bücher sind keine reinen Verkaufsobjekte,
sondern werden selbst zum Gegenstand seines künstlerischen Schaffens. In seinen
Buchaquarellen porträtierte er die
eigenen Bücher und der Betrachter wird zur genaueren Begutachtung angeregt.
Ebenso eröffnet er dem Besucher den Einblick in den Inhalt seiner Bücher durch
Projektion auf weißes Papier.
Cornelia
Kofler, Axel Sabitzer, Sara Alavi Kia
Was könnt Ihr dafür?
Zuerst die Füße, 1990
|
Das
zentrale Werk des Raumes ist der umstrittene Zyklus Fred the Frog. Zu diesem gehören neben dem Multiple mit Frosch am
Kreuz die vier Gemälde und das Büchlein Fred
the frog rings the bell once a penny two a penny hot cross burns. Hier wird
Kippenbergers Lust an der Provokation ersichtlich, wie auch sein Talent mit Wortfetzen
zu spielen. Die auf den ersten Blick unzusammenhängend auf die Leinwand
geschrieben scheinenden Worte wurden von seinem Assistenten unter genauer
Vorgabe von Schrift und Form in die Werke integriert. Mit dem am Kreuz hängenden
Frosch schafft der Künstler ein Selbstporträt, das die christliche Kirche
gleichzeitig karikiert. Ergänzt wird der Zyklus durch ein weiteres malerisches
Werk: Die Bourgeosie kommt nicht weiter
und der Fußball bewegt sich im Mittelfeld aus dem Jahr 1985. Schon im Titel
wird wieder Kippenbergers Affinität zur Sprache deutlich. Scheinbar wahllos
werden Slogans auf die Leinwand appliziert.
Aline
Steinwender, Nurja Ritter, Leonie v. Oelsen
Vielfältigkeit statt
Eindeutigkeit
The Problem Perspective. You are not the problem,
it’s the problem-maker in your head, 1986
|
Malerei,
Multiples, Skulptur, Sound, Print – die Medienvielfalt verdeutlicht sich in
Kippenbergers Spätwerk. Spiegelfolien mit Text binden den Betrachter mit ein,
vermischen Erfundenes wie Kippenbergers Absage seiner Teilnahme an der documenta mit Realem, dem
Antwortschreiben. Die kontrastreiche Stimmung zeigt sich besonders stark in den
Malereien. So hängt Kippenbergers Selbstinszenierung als Clown im
quietschbunten Kasperle-Zyklus auf der einen Seite, während es gegenüber in
gedeckten Farben lautet The Problem
Perspective: You are not the problem. It’s the problem-maker in your head.
Die zwei ungewöhnlichen Möbelstöcke sind dem 47-teiligen Peter-Skulpturen-Zyklus entnommen, mit dem er die Galerie Max
Hetzler vollstellte und „vermöbelte“ – sie sind Platzhalter für Kippenbergers
Humor und performativen Arbeitscharakter.
Lothar
Gödl, Eva Oberhofer, Sophie Publig
Wegweisender Nonsense
Andrea Stappert, Martin Kippenberger im Atelier Lindenstra.e, Köln 1985
|
Wegweisend
präsentiert sich der Wortwald der irreführenden Installation im finalen
Blickpunkt der Stirnwand. Kippenberger schafft durch seine Wortvorgaben
Verwirrung, sowie Assoziationen und Wortwitz. Dieser Irritationsgedanke und die
schwere Lesbarkeit findet sich ebenfalls im erstmals ausgestellten gelben
Gemälde Ohne Titel von 1995 wieder.
Die Werkserie Das Floss der Medusa
greift die Vielschichtigkeit des Künstlers erneut und abschließend auf.
Ausgehend von einer Fotografieserie Elfie Semotans entwickelte das Künstlerpaar
den Medusa-Zyklus dabei rezipierend
das Gemälde Das Floß der Medusa
(1818/19) von Theodore Géricault. Abschließend wird der Besucher mit dem
Versuch des Einschreibens in die Kunstgeschichte des Künstlers entlassen.
Vanessa
Danisch, Marit Herrmann, Felicitas Kastner
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