DIE HÄNDE VON GEORGIA O’KEEFFE
|
Mule’s Skull with Pink Poinsettia 1936
|
Es muss Anfang der
achtziger Jahre gewesen sein, als ich zum ersten Mal von Georgia O’Keeffe
hörte, und zwar in Amerika. Sie wurde mir als Ikone des Feminismus und
hervorragende Malerin beschrieben, und da ich damals oft zu Lesungen an
amerikanische Universitäten eingeladen wurde, war es nicht schwierig, im einen
oder anderen Museum Bilder von O’Keeffe zu sehen. Besonders beeindruckt war ich
von ihren Werken, die sich auf die Natur alles Lebendigen beziehen, wobei sie unter
anderem Tierschädelknochen mit gerade aufblühenden Pflanzen, also Entstehendes mit Vergänglichem
konfrontiert, aber auch vom Versuch, in ihren Landschaftsbildern den Übergang
von der Abbildung zur Abstraktion als Bildidee umzusetzen.
Ich hatte also gute Erinnerungen
an die Künstlerin O’Keefe, obgleich eine Ausstellung vor Jahren in München das
Letzte war, was ich von ihr gesehen habe. Als ich dann gebeten wurde, zur
Eröffnung der Wiener O’Keeffe-Ausstellung zu sprechen, freute ich mich vor
allem darauf, sie neu zu entdecken und herauszufinden, ob es etwas in ihrer
Kunst gibt, was mir damals gar nicht aufgefallen ist. Ich erzählte meiner
Freundin, der Malerin Ida Szigethy davon, die mir sogleich ein Buch nach
Altaussee schickte, von dem ich noch nie gehört hatte, nämlich den 1978
erschienenen Katalog einer Ausstellung im Metropolitan Museum of Art, mit 51
Fotografien, die Alfred Stieglitz, der Mann von Georgia O’Keeffe, zwischen 1917
und 1933 von ihr gemacht hatte. 1978 war Alfred Stieglitz bereits seit 32 Jahren
tot, und O’Keeffe im 91. Lebensjahr. Sie hat übrigens selbst die Einleitung zu
diesem Katalog geschrieben.
|
Alfred Stieglitz
Georgia O’Keeffe 1918
|
O’Keeffe erinnert
sich dabei, wie Stieglitz 1917 wieder damit begonnen hatte, sie zu
fotografieren, und beschrieb, wie mühsam es war, ihm als Modell zu dienen.
Allein für die Aufnahmen mit den langsamen Glasnegativen, musste sie jeweils
drei bis vier Minuten absolut reglos verharren, durfte weder blinzeln, noch den
Mund verziehen oder sich kratzen, wenn es sie juckte. Unbarmherzig verlangte er
ihr die merkwürdigsten Positionen und Verrenkungen ab, vor allem ihren Händen. Und
nicht nur ihren Händen, sondern ihrem ganzen Körper, den er mit Hilfe von Licht
und äußerster Nähe in sinnliche Landschaften verwandelte, die einer Art unentdeckten
Kontinenten gleichen und sich durch eine große Wahrhaftigkeit auszeichnen, die
weder vor Scham- und Achselhaaren zurückschreckt, noch vor Hagerkeit oder sich
fältelnder Haut und die dennoch vor Schönheit geradezu glüht.
Damals musste
zwischen der Malerin O’Keefe und dem Fotografen Stieglitz etwas passiert sein,
das O’Keefe Jahre nach Stieglitz’ Tod folgendermaßen zu benennen versuchte:
„Ich glaube es war die Arbeit, warum ich bei ihm geblieben bin, auch wenn ich
ihn als Mensch geliebt habe.“
Stieglitz hatte
O’Keeffe gezeigt, wer, und vor allem, was sie war, und sie hatte sich als solche in ihre Bilder zurückgespiegelt. Zu
erkennen glaube ich das an ihren Händen. Sie selbst hatte einmal gesagt, ihre
Hände seien schon immer bewundert worden, seit sie ein kleines Mädchen war,
aber sie habe sich nie viel dabei gedacht.
|
Alfred Stieglitz
Georgia O’Keeffe 1918
|
Stieglitz schon. Er
ließ ihre rechte und ihre linke Hand posieren.
Sei es als Hand, die Hand anlegt, eine andere an die Hand nimmt oder sie
anderen auflegt, die etwas auf der Hand liegen hat oder in die Hand bekommt,
jemandem an die Hand geht, eine Schulter umfasst oder eine Mitte, sich
ausstreckt, sich an eine Brust schmiegt, unter verschränkten Armen
hervorleuchtet, einen Stock zur Hand nimmt, sich zum Auffangbecken beult,
während die andere eine Kuppel bildet. Hände, die zum Handgriff bereit sind,
zur Handhabe, zu Handarbeit und zum Handwerk, die an den Handschlag glauben und
an die Treuhand, nicht gerade zum Handstand neigen, aber interessiert sind an
dem, was unter der Hand läuft, sowie an der Handhabung, nicht aber an der Hand
im Mund. Handsame Hände, die gegeben werden oder, wenn es sein muss, selbst
Hand anlegen, sich falten oder sich gegenseitig drücken, etwas bei der Hand
haben und deren Haltung prüfen. Dazu noch die Hand als Handlanger, in der
Erwartung des Kusses oder des Drucks, eines Schuhs oder eines Balls. Eine Hand,
die sich am Handlauf festhält oder an der eigenen Hüfte, die sich als Bewegung
wahrnimmt oder als Handgriff, als Hand, die Hand und Fuß hat, als Grußhand, die
einem „Hände hoch!“ gehorcht und sich Handbreit für Handbreit wieder
zurückzieht, um Handouts zu Handen von ... abzugeben oder sie von Hand zu Hand
gehen zu lassen, bis sie in guten Händen sind.
Alles das, kann einem
zu Händen einfallen, die eine so wichtige und eindrucksvolle Rolle spielen wie
die O’Keeffschen in den Stieglitzschen Fotografien. Es sind Hände, die als
Akteure auftreten, die zwar mit dem Körper O’Keeffes in Verbindung stehen, sich
jedoch nach einer eigenen Choreografie bewegen, gelenkt von Stieglitz dem
Regieführenden.
|
Alfred Stieglitz
Georgia O’Keeffe – Hands and Horse Skull 1931
|
Hände, denen man es
ansieht, dass sie aus der Natur in die Kunst wollen, um Bedeutung in der
Metaphorik zu erlangen. Einen Gefallen, den ich ihnen gerne tun kann, indem ich
sage, sie würden sich wie eine noch nicht entstandene Art von Kraken an einem
gebleichten Rinderschädel zu schaffen machen. Oder, wenn O’Keeffes rechte Hand
dreifingrig hinter dem Volant ihres geräumigen alten Fords hervorblitzt, müsse
ich an neugierige Fischlein denken, die wie jene in der Geschichte von „Hans guck
in die Luft“ aus dem Wasser schnellen. Und wenn O’Keeffe sich mit beiden Händen
ins Gesicht greift, würden mich ihre Finger an die gekrümmten Arme nervöser
Seesterne erinnern.
Aber das sind
Fantasien einer Schriftstellerin, und Schriftstellern gehen Vergleiche meist
schnell von den Lippen und leicht von der Hand.
O’Keeffe macht etwas
ganz anderes. Sie spiegelt, was sie in den Fotografien von sich erfährt in ihre
Bilder zurück. „Ich kann mich in ihnen erkennen,“ sagt sie, „und das hat mir
geholfen auszudrücken, was ich ausdrücken möchte – durch malen.“
Von dem Augenblick
an, in dem ich O’Keeffes Bilder und Stieglitz’ Fotografien als ein kunstvolles
Ineinadergreifen verstand, begann ich O’Keeffes Bilder aus einem anderen
Blickwinkel zu sehen. Ich versuchte, ihre fotografierten Hände in ihren Bildern
wiederzufinden. Dabei halfen mir die Zahl fünf sowie genau jene Krümmungen,
Schwünge, und Verrenkungen, die Stieglitz ihren Händen oktroyiert und sie dann ins
rechte Licht gesetzt hat.
|
Grey Tree, Lake George 1925
|
Ich fand Indizien
leichter, als ich gedacht hatte, denn die Blüten vieler Pflanzen sind
fünfblättrig und viele Blätter
fünffiedrig. Oft gemahnen die fotografierten Finger an spitz zulaufende
lanzettförmige Blätter, wie z.B. die von Iris oder bei bestimmten Gräsern. Das
alles ist bereits in den Bildern aus der Zeit mit Stieglitz zu sehen wie in
„From the Lake“ und „Grey Tree, Lake George“, wo es um einen Baum mit fünf
Ästen geht. Oder bei „The Lawrence Tree“, den O’Keeffe aus einer ähnlich
„verrückten“ Perspektive gemalt hat, wie Stieglitz ihre Hände „verrückte“, so
dass sie als Wurzeln gesehen werden können, wie die Äste Lawrence-Baumes. Auch
bei den zahlreichen Türkenmohnen oder beim „Stechapfel, weiße Blüte“, ist das
Fünffingerprinzip der Hand zu erkennen. Selbst die vielen Geweihe auf O’Keeffes
Bildern erinnern an die Krümmung von O’Keefes Fingern in der Regie von Alfred Stieglitz.
„Dead Pinon Tree“ nimmt das Handschema auf, mit dem Stamm als Mittelfinger
(alle anderen überragend), und sogar der von oben gesehene Fluss in „From the
River – Pale“ verzweigt sich fünfmal. Es ließen sich noch viele Beispiele dafür
finden, wie O’Keeffe die von Stieglitz entwickelten künstlichen Bildstrukturen
mit künstlerischen Mitteln in die der Natur zurückverwandelt.
Aber ich will Sie nun
nicht weiter mit meiner Sicht der Bilder behelligen, viel wichtiger ist, dass
Sie selbst sie aufmerksam anschauen und vielleicht ganz andere Schlüsse daraus
ziehen.
Nur noch so viel:
Auch Stieglitz hat sich in seiner Fotografie, vor allem in seiner Serie von
Wolkenstudien, die er ab 1922 anfertigte (wie Britta Benke anmerkt), Bezug auf
die, Jahre zuvor entstandenen, von Naturformen abgeleiteten Abstraktionen
O’Keeffes genommen.
„Welch eine Beziehung“,
möchte man da sagen und: „Es war die Arbeit, Liebster!“
Barbara Frischmuth
Ausstellungseröffnung "Georgia O'Keeffe", 6. Dezember 2016
Die Ausstellung läuft noch bis 26. März 2017.