Mittwoch, 7. Mai 2014

"Eyes Wide Open. Stanley Kubrick als Fotograf." Vorwort aus dem Ausstellungskatalog von Ingried Brugger

Die Reaktionen waren enthusiastisch, als wir im Kunstforum beschlossen haben, eine Stanley-Kubrick-Ausstellung zu machen. Das hat vor allem damit zu tun, dass Kubrick nicht nur einer der wichtigsten Regisseure des 20. Jahrhunderts, ein echter Visionär der Leinwand, ist, sondern dass er in seinen Filmen das Sehen per se zum Thema gemacht und damit unser aller Sehen maßgeblich beeinflusst hat. In dieser Eigenschaft steht Kubrick, erhaben über sämtliche Gattungsgrenzen und Diskussionen zur Unterscheidung von High und Low, in einer Reihe mit den ganz großen Künstlerinnen und Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts.



Es ist Kubricks visuelles Genie, das ihm einen festen Platz innerhalb der Avantgarden der Moderne verschafft, denen sich die Ausstellungsprogrammatik des Kunstforums verschrieben hat. Seine Filme, darunter 2001: A Space Odyssey, A Clockwork Orange oder Eyes Wide Shut, sind zeitlos, und man traut seinen Augen kaum, wenn man sich beispielsweise das Erscheinungsdatum von 2001 vergegenwärtigt. 1968, noch vor der ersten Mondlandung, hat Kubrick den Kinogängern einen damals noch kaum vorstellbaren, gigantischen Seheindruck verschafft: die Erde aus dem Weltall betrachtet. Ein Jahr vor der Mondlandung und Neil Armstrongs berühmtem Ausspruch „That’s one small step for (a) man, one giant leap for mankind“ war Kubricks Publikum durch die Schönheit des blauen Planeten (den er sich nicht ganz so blau vorgestellt hat) sprachlos.



Die zentrale Rolle des Auges – im Sinne des Sehorgans, aber auch im Sinne des technischen Apparats der Film- und Fotokamera – wollten wir mit unserem Ausstellungstitel unterstreichen: Eyes Wide Open – Stanley Kubrick als Fotograf versteht sich nicht nur als jeu de mots mit Kubricks letztem filmischen Meisterwerk Eyes Wide Shut, das auf der literarischen Vorlage von Schnitzlers Traumnovelle fußt. Das Auge, das Sehen und der Blick sind rekurrierende Themen in Kubricks Schaffen. Während sein filmisches Werk keiner näheren Erklärung bedarf, stellt die Ausstellung des Kunstforums das bis dato noch zu wenig bekannte fotografische Frühwerk vor. Kubrick, der Autodidakt ist, beginnt bereits als Junge, sein Auge fotografisch zu schulen. Mit nur 16 Jahren verkauft er sein erstes Foto an das Look-Magazine: Ein Zeitungsverkäufer an seinem Kiosk betrachtet deprimiert die Schlagzeilen vom Tod des Präsidenten Roosevelt. Wenig später steigt Kubrick bei Look zum staff photographer auf. In den rund fünf Jahren, von 1945 bis 1950, in denen Kubrick für Look arbeitet, entstehen ca. 300 Fotoessays. Kubrick stellt in seinen Fotografien, wie später auch in seinen Filmen, bevorzugt ein außergewöhnliches, oft einsames, menschliches Schicksal dar: Er beobachtet einen Schuhputz-Jungen auf den Straßen New Yorks, begleitet Betsy von Fürstenberg, eine aufstrebende Jung-Schauspielerin, bei ihrer „Arbeit“ oder besucht einen riesigen Zirkus in seinem Winterquartier. Kubricks Fotos spiegeln auch die damalige amerikanische Metropole: New York wird in diesen Jahren, in denen Europa in Schutt und Asche liegt, endgültig zur „neuen Hauptstadt der Welt“. Das urbane Spektakel wird im Kleinen wie auch im Großen festgehalten, individuelle Geschichten und Schicksale verbinden sich in Kubricks Fotografien zu einer groß(städtisch)en Erzählung. Die Lehrjahre bei Look ermöglichen es dem blutjungen Fotografen, sich mit Komposition, Atmosphäre und Timing auseinanderzusetzen und so eine ganz eigene visuelle Erzähltechnik und Bildsprache zu entwickeln. Kubrick kultiviert in seinen Look-Jahren jedoch nicht nur sein fotografisches Auge, sondern lernt in der Redaktion auch, wie kreative Prozesse im Team funktionieren – eine initialzündende Erfahrung für seine spätere Arbeit als Regisseur.


Eine derartiges Ausstellungs- und Buchprojekt kann nur mit der Unterstützung von vielen Seiten gelingen. Mein Dank geht zuallererst an die Familie Kubrick, Christiane Kubrick und Jan Harlan, die unser Projekt von Anfang an mit Wohlwollen begleitet haben. Susan Henshaw Jones und Sean Corcoran vom Museum of the City of New York sowie Philip Grosz vom Stanley Kubrick Film Archiv in London sei herzlich für ihre Kooperationsbereitschaft gedankt. Die Ausstellung basiert auf einem Konzept von Michel Draguet und Claudia Beltramo Ceppi und entstand in Zusammenarbeit mit GAMM Giunti Florenz, hier möchte ich mich vor allem bei Filippo Zevi, Paolo Giulini, Silvia Carron und LeeAnn Bortolussi bedanken. Der vorliegende Ausstellungskatalog, das bis dato umfangreichste deutschsprachige Buch zu Kubricks fotografischem Frühwerk, ist im Verlag für moderne Kunst Nürnberg erschienen, Silvia Jaklitsch und Christian Schienerl sei für die exzellente Zusammenarbeit bei der Buchredaktion und -gestaltung gedankt genau so wie den Katalogautorinnen und -autoren für ihre Beiträge. Lisa Ortner-Kreil hat das Ausstellungs- und Buchprojekt für das Kunstforum souverän geleitet, ihr möchte ich, genau wie meinem gesamten Team, großen Dank aussprechen. Danken möchte ich last but not least auch unseren Sponsoren, allen voran der Bank Austria UniCredit AG sowie SIGNA, UniCredit Leasing, Ergo, Schoellerbank, Pioneer Investments, card complete und unseren Medienpartnern infoscreen, Falter, Die Presse, Ö1, the gap und viennaonline.

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