Donnerstag, 29. Januar 2015

Herz oder Hirn?

Europa ging’s im vierten Bank Austria Salon an die Nieren.

Das Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, die Europäische Zentralbank, die mit dem Beschluss zum Ankauf von Staatsanleihen einen großen Schritt wagt und Griechenland, das am Sonntag einer gewichtigen Wahl entgegensieht. – Die unterschiedlichsten Themen bewegen die Europäische Union schon in den ersten Wochen des neuen Jahres. „Die Idee der Europäischen Union steht für ein gemeinsames Miteinander. So heißt auch eine Initiative der Bank Austria“, eröffnet Bank Austria Vorstand Helmut Bernkopf den Donnerstagabend im Alten Rathaus. Man widmet sich am ersten Salonabend des Jahres 2015 also dem Thema Europa in all seinen Facetten passend zum EU-Betritt Österreichs vor nun schon 20 Jahren.

Margaretha Kopeinig, Leiterin des Europa-Ressorts der Tageszeitung Kurier befragt dazu den Autor Robert Menasse und Miguel Herz-Kestranek, Schauspieler und Autor und selbstbezeichneter österreichischer Europäer. Sein Impulsreferat  eine Rede, die er vor eineinhalb Jahren beim Europaforum im Stift Göttweig gehalten hat   sorgt für einen raschen Einstieg in eine emotionale tiefgehende Debatte.
 Robert Menasse, Margaretha Kopeinig und Miguel Herz-Kestranek © Oreste Schaller

Mehr Herz
© Oreste Schaller
Als Teilnehmer unzähliger Podien, Diskussionen, Think-Tanks und Arbeitsgruppen sei ihm zwar klar geworden, was Europa alles sein kann, aber auch, dass etwas Entscheidendes fehlt: Es ist die Leidenschaft, die Seele, das Herz. Ohne beseelte Vision und Herz ist keine Krise zu meistern, meint Herz-Kestranek. Nur so könne man die Menschen nachhaltig gewinnen. Europa sei nicht das Problem, sondern die Lösung und dieser Glaube muss gestärkt werden. Er warnt davor, die Leidenschaft den Verhinderern, den Populisten, dem Boulevard und den antidemokratischen Zündlern zu überlassen. All jene würden damit nämlich nachhaltig ins Herz zielen. “Negativen Emotionen darf man nicht mit dem angeblich besseren Argument, sondern mit den positiven Emotionen begegnen”, so Herz-Kestranek. Er schließt sein leidenschaftliches Plädoyer mit einem Zitat von Marc Aurel: Wer selbst nicht brennt kann bei anderen kein Feuer entfachen! Seine Befürchtung es käme zu keiner kontroversen Diskussion mit Robert Menasse, wischt jener sogleich vom Tisch.

Mehr Hirn
© Oreste Schaller
“Es gibt nichts Abstrakteres als das Herz als Metapher. Das Herz kann einem übergehen, man kann Herzklopfen vor Angst haben oder einen Infarkt. Das seien konkrete Dinge, aber was wäre das Herz der EU?” entgegnet er.  Denn was sei der Unterschied zu den Emotionen von Rechtspopulisten und Führerfiguren? Wie verhindert man dass das große europäische Kunstherz ihre Emotionen nicht gegen Feinde richtet? Fahnenschwingend, hymnensingend. “Wenn einem Kollektiv das Herz übergeht, bekomme ich Angst.”, gibt Menasse zu. Das europäische Einigungsprojekt sei deshalb ein Vernunftsprojekt, das auf das Hochzwirbeln von Massen bewusst verzichtet. Gerade bei den Befürwortern überwiegt das Phrasenhafte. Warum kommt da immer glühend als Adjektiv zum Europäer? Es kann doch nicht von meiner Fieberkurve abhängen ob das Projekt Europa gelingt. „Ich sag dir: Es fehlt das Hirn, das erst einmal entscheidet, wohin die Reise gehen soll.“, so Menasse zu Herz-Kestranek.
Die Leute werden mit positiven und negativen Emotionen versorgt, nicht mit dem vernünftigen faszinierenden Ziel, das Menasse in der Überwindung der Nationen sieht, wie es auch schon von den Gründern der EU vorgesehen war: Nationalismus hat das größte Menschheitsverbrechen ausgelöst. Die EU ist die Antwort darauf, nämlich ein Friedensprojekt. Dazu hat Europa die große Chance als weltweit einziger politischer Körper, der 60-jährige Expertise hat, eine nachnationale Politik und Zukunftsdemokratie zu entwickeln.
Das ewig gesuchte Narrativ lautet: Wir bauen den ersten nachnationalen Kontinent der Weltgeschichte als Friedensprojekt.
Auch Herz-Kestranek begeistert an der EU der Aufbruch in eine andere Art von Demokratie und dass es keinen Klubzwang gebe. Dass es ein freiwilliges Projekt sei, sieht er als besonders zukunftsweisendes Zeichen und Fundament. Dass es mehr Transparenz braucht, das Parlament gestärkt und der Verfassungsvertrag neu überdacht werden muss, steht für ihn außer Frage.
Wo liegen also die Schwachstellen der europäischen Demokratie? Menasse fordert die Abschaffung des Europäischen Rats: “Die Regierungschefs behindern das Zusammenwachsen”. Das bekräftigt auch eine Stimme aus dem Publikum. Als einer, der in Brüssel jahrelang tätig war, erklärt er: “Am Lenkrad sitzen Kommission und Parlament. Sie denken, lenken und geben Gas. Der Europäische Rat als Beifahrer macht genau das Gegenteil.”

© Oreste Schaller
Überhaupt: Die jetzigen politischen Eliten sind ahnungslos. Menasse erklärt sich das nach dem „Buddenbrooks-Prinzip“: Einer gründet, einer baut aus nach den Erfahrungen des Vorgängers, der Enkel kennt noch zumindest die Überlieferung, aber die vierte Generation fährt das Projekt an die Wand. Sie ist im Wohlstand aufgewachsen und hat keinen Bezug mehr zum Ursprung des Projekts. “Khol hat noch gewusst, was Europa ist. Merkel hat Europa nicht im Blut.”,wird Hugo Portisch zitiert. “Und Faymann?”, fragt die Moderatorin Margaretha Kopeinig. “Der ist jetzt auch nicht der große Europa-Zampano!”, antwortet Menasse. “Anfangs war er ja verblüfft, dass er auch noch Brüssel fliegen muss.”
Menasse will aber mit einer Frohbotschaft schließen: In 10 Jahren sieht er einen politischen Elitenwechsel. Darauf müssen wir uns vorbereiten, denn die Chance liegt in der kommenden Generation, die ganz selbstverständlich transnational lebt. Diese „Erasmus-Generation“ müsse man an die Schalthebel lassen, damit sie ganz von selbst Europa leben und lenken. Miguel Herz-Kestranek deutet mit einem Zitat noch einmal auf die nachnationale Zukunft hin. Er schließt mit einem Aphorismus Franz Grillparzers, der in seiner Rolle als Satiriker oft unterschätzt wird.


Ein Vorzug bleibt uns ewig unverloren,
man nennt ihn heut die Nationalität.
Sie sagt: dass irgendwo der Mensch geboren,
was freilich sich von selbst versteht.

© Oreste Schaller


Juliane Fischer

Der nächste Bank Austria Salon zum Thema "Wahrheit" findet am 23. Februar 2015 statt.

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