Europa ging’s im vierten Bank Austria Salon an die Nieren.
Das Attentat
auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, die Europäische
Zentralbank, die mit dem Beschluss zum Ankauf von Staatsanleihen einen großen
Schritt wagt und Griechenland, das am Sonntag einer gewichtigen Wahl
entgegensieht. – Die unterschiedlichsten Themen bewegen die Europäische Union
schon in den ersten Wochen des neuen Jahres. „Die Idee der Europäischen
Union steht für ein gemeinsames Miteinander. So heißt auch eine Initiative der
Bank Austria“, eröffnet Bank Austria Vorstand Helmut Bernkopf den
Donnerstagabend im Alten Rathaus. Man
widmet sich am ersten Salonabend des Jahres 2015 also dem Thema Europa in all
seinen Facetten passend zum EU-Betritt Österreichs vor nun schon 20 Jahren.
Margaretha
Kopeinig, Leiterin des Europa-Ressorts der Tageszeitung Kurier befragt dazu den
Autor Robert Menasse und Miguel Herz-Kestranek, Schauspieler und Autor und
selbstbezeichneter österreichischer Europäer. Sein Impulsreferat – eine Rede,
die er vor eineinhalb Jahren beim Europaforum im Stift Göttweig gehalten hat – sorgt für einen raschen Einstieg in eine emotionale tiefgehende Debatte.
Robert Menasse, Margaretha Kopeinig und Miguel Herz-Kestranek © Oreste Schaller |
Mehr Herz
© Oreste Schaller |
Als
Teilnehmer unzähliger Podien, Diskussionen, Think-Tanks und Arbeitsgruppen sei
ihm zwar klar geworden, was Europa alles sein kann, aber auch, dass etwas
Entscheidendes fehlt: Es ist die Leidenschaft, die Seele, das Herz. Ohne
beseelte Vision und Herz ist keine Krise zu meistern, meint Herz-Kestranek. Nur
so könne man die Menschen nachhaltig gewinnen. Europa sei nicht das Problem,
sondern die Lösung und dieser Glaube muss gestärkt werden. Er warnt davor, die
Leidenschaft den Verhinderern, den Populisten, dem Boulevard und den
antidemokratischen Zündlern zu überlassen. All jene würden damit nämlich
nachhaltig ins Herz zielen. “Negativen Emotionen darf man nicht mit dem
angeblich besseren Argument, sondern mit den positiven Emotionen begegnen”, so
Herz-Kestranek. Er schließt sein leidenschaftliches Plädoyer mit einem Zitat
von Marc Aurel: Wer selbst nicht brennt kann bei anderen kein Feuer entfachen!
Seine Befürchtung es käme zu keiner kontroversen Diskussion mit Robert Menasse,
wischt jener sogleich vom Tisch.
Mehr Hirn
© Oreste Schaller |
“Es gibt
nichts Abstrakteres als das Herz als Metapher. Das Herz kann einem übergehen,
man kann Herzklopfen vor Angst haben oder einen Infarkt. Das seien konkrete
Dinge, aber was wäre das Herz der EU?” entgegnet er. Denn was sei der Unterschied zu den Emotionen
von Rechtspopulisten und Führerfiguren? Wie verhindert man dass das große
europäische Kunstherz ihre Emotionen nicht gegen Feinde richtet?
Fahnenschwingend, hymnensingend. “Wenn einem Kollektiv das Herz übergeht,
bekomme ich Angst.”, gibt Menasse zu. Das europäische Einigungsprojekt sei
deshalb ein Vernunftsprojekt, das auf das Hochzwirbeln von Massen bewusst
verzichtet. Gerade bei den Befürwortern überwiegt das Phrasenhafte. Warum kommt
da immer glühend als Adjektiv zum Europäer? Es kann doch nicht von meiner
Fieberkurve abhängen ob das Projekt Europa gelingt. „Ich sag dir: Es fehlt das
Hirn, das erst einmal entscheidet, wohin die Reise gehen soll.“, so Menasse zu
Herz-Kestranek.
Die Leute
werden mit positiven und negativen Emotionen versorgt, nicht mit dem
vernünftigen faszinierenden Ziel, das Menasse in der Überwindung der Nationen
sieht, wie es auch schon von den Gründern der EU vorgesehen war: Nationalismus
hat das größte Menschheitsverbrechen ausgelöst. Die EU ist die Antwort darauf,
nämlich ein Friedensprojekt. Dazu hat Europa die große Chance als weltweit
einziger politischer Körper, der 60-jährige Expertise hat, eine nachnationale
Politik und Zukunftsdemokratie zu entwickeln.
Das ewig gesuchte Narrativ lautet: Wir bauen den
ersten nachnationalen Kontinent der Weltgeschichte als Friedensprojekt.
Auch
Herz-Kestranek begeistert an der EU der Aufbruch in eine andere Art von
Demokratie und dass es keinen Klubzwang gebe. Dass es ein freiwilliges Projekt
sei, sieht er als besonders zukunftsweisendes Zeichen und Fundament. Dass es
mehr Transparenz braucht, das Parlament gestärkt und der Verfassungsvertrag neu
überdacht werden muss, steht für ihn außer Frage.
Wo liegen
also die Schwachstellen der europäischen Demokratie? Menasse fordert die
Abschaffung des Europäischen Rats: “Die Regierungschefs behindern das
Zusammenwachsen”. Das bekräftigt auch eine Stimme aus dem Publikum. Als einer,
der in Brüssel jahrelang tätig war, erklärt er: “Am Lenkrad sitzen Kommission
und Parlament. Sie denken, lenken und geben Gas. Der Europäische Rat als
Beifahrer macht genau das Gegenteil.”
© Oreste Schaller |
Überhaupt:
Die jetzigen politischen Eliten sind ahnungslos. Menasse erklärt sich das nach
dem „Buddenbrooks-Prinzip“: Einer gründet, einer baut aus nach den Erfahrungen
des Vorgängers, der Enkel kennt noch zumindest die Überlieferung, aber die
vierte Generation fährt das Projekt an die Wand. Sie ist im Wohlstand
aufgewachsen und hat keinen Bezug mehr zum Ursprung des Projekts. “Khol hat
noch gewusst, was Europa ist. Merkel hat Europa nicht im Blut.”,wird Hugo
Portisch zitiert. “Und Faymann?”, fragt die Moderatorin Margaretha Kopeinig.
“Der ist jetzt auch nicht der große Europa-Zampano!”, antwortet Menasse.
“Anfangs war er ja verblüfft, dass er auch noch Brüssel fliegen muss.”
Menasse will
aber mit einer Frohbotschaft schließen: In 10 Jahren sieht er einen politischen
Elitenwechsel. Darauf müssen wir uns vorbereiten, denn die Chance liegt in der
kommenden Generation, die ganz selbstverständlich transnational lebt. Diese „Erasmus-Generation“
müsse man an die Schalthebel lassen, damit sie ganz von selbst Europa leben und
lenken. Miguel Herz-Kestranek deutet mit einem Zitat noch einmal auf die
nachnationale Zukunft hin. Er schließt mit einem Aphorismus Franz Grillparzers,
der in seiner Rolle als Satiriker oft unterschätzt wird.
Ein Vorzug bleibt
uns ewig unverloren,
man nennt ihn heut
die Nationalität.
Sie sagt: dass
irgendwo der Mensch geboren,
was freilich sich
von selbst versteht.
© Oreste Schaller |
Juliane Fischer
Der nächste Bank Austria Salon zum Thema "Wahrheit" findet am 23. Februar 2015 statt.
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