Donnerstag, 16. April 2015

Über die Anziehungskraft eines pinken Plastiksackerls


"Generationen im Museum" ist ein Schweizer Projekt, das es sich zum Ziel gemacht hat, altersübergreifende Verbindungen im musealen Umfeld zu schaffen. Das Prinzip ist einfach: Menschen, zwischen denen mindesten 15 Jahre Altersunterschied besteht und die sich vorher noch nie begegnet sind, verbringen zwei Stunden gemeinsam in einer Ausstellung und erfinden jeweils in Paaren eine Geschichte zu einem frei gewählten Exponat. 

Vergangenen Montag fand eine Ausgabe von "GiM" erstmals auf österreichischem Boden statt. 
Versuchslabor war die Ausstellung "Landscape in my Mind" mit Werken großer Fotografen von Andreas Gursky bis Hamish Fulton im Kunstforum Wien:

Die jüngere Gruppe stellen dieses Mal sieben TeilnehmerInnen eines Deutschkurses an der Volkshochschule-Rudolfsheim. Fünfmal pro Woche lernen die jungen Menschen zwischen 16 und 26 derzeit gemeinsam Deutsch um auf das Niveau "B1" zu kommen. Das ist das Level im "europäischen Sprachenreferenzrahmen" (ein Wort, das wohl jeden Brüsselhasser vor Schadenfreude aufheulen lässt), das für die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft verlangt wird. Aber ein bisschen Auflockerung der Lernroutine kann nie schaden, und so kommen die jungen Menschen aus Moldawien, Serbien, Polen und dem Iran gemeinsam mit ihrer Lehrerin ins Kunstforum.
Gegenüber stehen ihnen sieben Damen zwischen 52 und 66, die ihren Weg auf die Freyung über einen Newsletter der Volkshochschulen gefunden haben. 

Um die beiden Gruppen zusammenzuführen, haben sich Andrea und Melanie, die Leiterinnen des Workshops, eine kleine Aufwärmübung ausgedacht: In zwei Kreisen stellen sich Jung & Nicht-ganz-so-jung gegenüber auf. Über vier Fragen sollen sie jeweils eine Minute sprechen, bevor sich ein Kreis weiterdreht, bis so jeder einmal mit jedem geplaudert hatte. Nach "Was hast du gestern um 11Uhr11 gemacht?", "Was ist deine Lieblingsspeise?" (Einhellige Antwort der Jungen: Schnitzel!) und "Wer ist dein Lieblingskünstler?" ist das Eis gebrochen. Es ist halt immer wieder das gleiche mit diesen Teambuilding-Übungen: Anfangs steht jeder etwas unsicher im Raum herum, wird dazu aufgefordert bei einem "lustigen Spiel"mitzumachen, schlurft lustlos hin und findet sich nach kurzer Zeit munter schnatternd mit vor kurzem noch wildfremden Menschen wieder.

Anschließend geht es paarweise durch die aktuelle Ausstellung und nach einer halben Stunde präsentieren die Duos ihre Geschichten. Einzige Regel dabei: "Man kann nichts falsch machen!"
Gleich vier der Erzählergruppen suchen sich das Foto "En la Pampa" von Jordi Colomer aus. Kein Zufall, könnte man sagen: Denn als einziges Werk der Ausstellung, die sich mit zeitgenössischen Positionen der Landschaftsfotografie beschäftig, ist darauf ein Mensch gut sichtbar abgebildet. Man sieht eine Frau, die auf die chilenische Stadt Iquique herabblickt und ihre Arme weit von sich streckt. In der linken Hand ein pinkes Plastiksackerl.
Was sie macht, was sie denkt? "Sie befreit sich von ihrem altem Leben, das nicht schön war.", "Ihr größter Traum ist es Sängerin zu werden. Gleich geht sie hinunter in die Stadt um ihre neues Leben anzufangen.""In dem Plastiksackerl ist ein schönes Kleid!"
So hoffnungsvoll wie zu diesem Bild sind nicht alle Assoziationen: Helga und Adrijana inspiriert das Foto eines venezianischen Palazzos von Elger Esser zu einer traurigen Geschichte: Nachdem auf einer Feier das Kind der Bewohner in der Lagune ertrinkt, trennt sich das Ehepaar und kein Lachen ward je wieder gehört im herrschaftlichen Gebäude. Klingt pathetisch, passt aber ziemlich gut zum düsteren Eindruck des Fotos mit der starken Sepia-Färbung. 
Egal wie dramatisch oder lustig die erzählten Geschichten sind, am beeindruckendsten ist, wie gut eingespielt da schon nach so kurzer Zeit erzählt wird. Nahtlos fügen sich die Sätze der Damen und der Deutsch-SchülerInnen aneinander, es ist ein schönes Miteinander. Fehlt einmal ein Wort, springt der andere helfend ein.

Zum Abschluss schreibt jeder noch zwei Postkarten: Eine an seinen Teampartner und eine an die Initiatoren von "Generationen im Museum". Denn die Schweizer sind schon ganz neugierig wie ihr Format in Wien aufgenommen wurde. Ziemlich gut, kann man sagen. Bei der gemeinsamen Jause erzählt eines der Mädchen zum Beispiel, dass sie normalerweise aus Prinzip nicht vor fremden Menschen spricht. Hätte man garnicht gemerkt, ihre Geschichte war nämlich mit die Spannendste. 

Text: Magdalena Hiller
Fotos: Natalie Würnitzer





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