Der jüngste Salon am 24. März im Alten Rathaus widmete sich dem Thema Vergangenheit.
Diesmal sinnierten die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter, die 2014 zur
österreichischen Wissenschaftlerin des Jahres gekürt wurde, und der Historiker
Johannes Koll über den traditionell weit gefassten Themenbegriff. Volkswirt Fred
Luks moderierte.
Mit der Vergangenheit ist der Begriff der Geschichte stark verbunden. Vergangenheiten sind so wie Meinungen – alle besitzen eine. Deswegen erschien es nur legitim, als Winiwarter einleitend vom Publikum erfahren wollte, wer denn heute mit einem Schirm gekommen sei. Genauso wie wir aus unseren persönlichen Erfahrungen lernen sollen (etwas, dass dem Wetterbericht nicht immer zu trauen ist), wollen wir auch aus der Geschichte etwas lernen. Winiwarter zeichnet hier zunächst ein eher negatives, überspitzes Bild: Wir lernen, dass sich Gewalt lohne und sich Ungleichheit erhalten lasse, sofern die Machtstrukturen dafür beibehalten werden. Der allseits bekannte Sager, dass wir also aus der Vergangenheit nur lernen, dass wir nichts lernen, greift für sie somit zu kurz.
Mit
zunehmender Beschleunigung wird auch das Verständnis und das Bild, das wir uns
von der Vergangenheit machen, immer undurchsichtiger und verschwommener. Der
Prozess des Sich-Erinnerns ist manchmal kein Garant für die
Tatsächlichkeit: "Die Erinnerung ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er
will", sagt dazu der holländische Schriftsteller Cees Nooteboom. Die
Erinnerung ist also unzuverlässig und ein komplexer Vorgang. Anders wäre es ja auch nicht
erklärbar, dass Marcel Proust 7000 Seiten seines Romanzyklus mit diesem Vorgang
zu füllen im Stande war.
Für
Winiwarter definiert sich Geschichte zudem auch immer erst durch die Fragen,
die wir an die Vergangenheit stellen. 14-jährige sähen bei einem vorgehalten
Spiegel nur ihre Pickel, ältere Herren nur ihren Haarkranz.
In der
Umweltgeschichte sei auch klar ablesbar, wie wandelbar die Wahrnehmung der
Natur ist. Hatte man früher noch durchaus Angst vor der Luft der Nacht, bringt
das heute niemand mehr so richtig aus der Fassung.
Koll sieht
die neuerlichen Tendenzen zu einer Re-Nationalisierungs als äußerst
bedenklich. Die Vorgänge in Ungarn und Belgien, die hierzu geführt haben, seien
aber derart komplex, dass man sich eine vernünftige Erklärung nur auch vor
einem geschichtlichen Hintergrund vorstellen kann.
Oft bedarf
es auch etwas Abstand, um das Vergangene verarbeiten zu können. So
habe die direkte Nachkriegsgeneration den Nationalsozialismus eigentlich nicht
wirklich verarbeiten können. Der Schock saß einfach noch zu tief. Eine wirkliche
Aufarbeitung – auch im wissenschaftlichen Sinne – begann erst in den 1970ern, so
Koll.
Totalitäre Systeme
haben laut Winiwarter immer eines gemein: Sie sind nicht nur für den Menschen
schädlich, sondern auch für die Natur. In Tibet haben beispielsweise die
chinesischen Intellektuellen im Rahmen von Zwangsarbeit die Sümpfe trockengelegt.
Dies widerspricht dem geläufigen Bild, dass China oft für eine gute
Naturpolitik herangezogen wird. Kluge Umweltpolitik soll immer auf dem
Vorsorgeprinzip beruhen.
Die
wichtigste Fähigkeit des Menschen bleibt somit die Kontextualisierung – also Dinge
in Bezug zueinander zu setzen um sie dadurch greifbarer und verstehbarer zu
machen. Das Prinzip Hoffnung wird von beiden Experten unterstützt.
Vergangenheit ist immer auch das, was man daraus macht.
Vergangenheit ist immer auch das, was man daraus macht.
Text: Christoph Kranebitter
Fotos: Oreste Schaller
Der nächste Bank Austria Salon zum Thema Tradition findet am 19. Mai 2016 statt.
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