Freitag, 18. Dezember 2020

Autor:innen zur Ausstellung "Herta Müller - wenn man spricht ist immer jetzt - sonst nicht": Claudia Bitter


Autor:innen zur Ausstellung "Herta Müller - wenn man spricht ist immer jetzt - sonst nicht": Claudia Bitter






 

Claudia Bitter


Ich möchte etwas Schönes träumen

 

Ich heirate die Hand, sagt die Schere.

Ist es nicht gefährlich ?, fragt die Haut.

Die Zeit fliegt hoch und der Himmel neigt sich.

An einem Ort aus Papier, der sich ins Meer wellt.

Wortmünzen klimpern in den ausgeleierten Herzbeuteln.

Silbenfische schwimmen am Grund.

Rasch werden Schirme für die Fische genäht und die Zäune der Körper geflickt.

Feuchte Satzzeichen hängen an der Leine, schaukeln im Ja-Wort.

Auf der Wasserhaut glitzert Wortgeschnipsel.

Ein Schleier aus Salz und eine Schüssel voll Sommersilben wird angerichtet.

Ich möchte etwas Schönes, sagt die Hand.

Ich schenke dir ein Schaukelpferd, eine Wärmeflasche, eine Sicherheitsnadel, sagt die Schere.

Keine Lichtfeder ?, fragt die Hand.

Die Augen der Hand: übermütige Kinder, voller Wunden und Pflaster.

Die Fingerspitzen flüstern, kichern: Wo bleibt denn das Gefühl ?

Ich möchte etwas Schönes träumen, sagt die Schere.

Einen Löffel voll Sterne gieß ich dir ins Tintenbad, sagt die Hand

und kriecht unter die Haut.

 

Claudia Bitter

Geb. 1965 in Oberösterreich, studierte Slawistik und Ethnologie, lebt in Wien als Autorin von Lyrik und Prosa, Künstlerin und Bibliothekarin. Bislang 3 Prosa- und 3 illustrierte Lyrikbände  sowie der Roman Kennzeichnung(Klever 2020). 2019 mit dem Frau Ava Literaturpreis ausgezeichnet.

1 Kommentar:

  1. es ist wirklich ein durch und durch gelungenes gedicht. unfassbar was da aus dem bezug zur ausstellung an dichte, tiefe und schönheit entstanden ist! gratulation von christa nebenführ

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