Immer wieder hat man beim Bank Austria Salon die Möglichkeit, nicht nur tiefer in bestimmte Themen einzutauchen, sondern große Persönlichkeiten in ganz kleinem Rahmen näher kennen zu lernen. Bei der gestrigen Veranstaltung zum Thema "Wahrheit" war diese Gelegenheit besonders kostbar: Den Schriftsteller Michael Köhlmeier muss man sonst mit vierstelligen Menschenmengen teilen (so etwa im ausverkauften Burgtheater oder im vollen Hof des Museumsquartiers) . Agnes Heller, eine der bedeutendsten lebenden Philosophinnen und Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren New Yorker Lehrstuhl, bekommt man normalerweise so ohne weiters garnicht zu Gesicht. Wenn diese großen Persönlichkeiten dann noch fast zwei Stunden so diskutieren, dass es wirklich ans "Eingemachte" geht – das ist der Jackpot einer jeden Salonrunde.
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Isolde Charim |
Nach der Begrüßung durch Gastgeber Willibald Cernko und einer kurzen Einführung durch die Moderatorin Isolde Charim, ebenfalls studierte Philosophin und wissenschaftliche Kuratorin des Bruno-Kreisky-Forums, las Michael Köhlmeier aus seinem letzten erschienenen Buch "Zwei Herren am Strand". In dem vergangenes Jahr bei Hanser verlegten Roman, beschäftigt sich der Schriftsteller mit zwei der prägenden Persönlichkeiten des 20.Jahrhunderts: Winston Churchill und Charlie Chaplin. Die beiden verband eine ungewöhnliche Freundschaft. Beide unter Depressionen leidend, gaben sie sich ein Versprechen: Sobald der "schwarze Hund" zuschlüge, würde der eine dem anderen sofort zur Seite stehen. Die "Therapieform" beinhaltete, der Buchtitel sagt es schon, unter anderem stundenlange Spaziergänge am Strand.
Was bei Köhlmeiers Roman Realität und was Fiktion ist, das lässt sich so einfach nicht sagen. Es sei weiters völlig irrelevant, denn "Es steht "Roman" vorne drauf – also darf ich alles tun", so der Autor. Es gehe einzig und alleine darum, die Wahrheit so gut vorzuspielen, dass es der Leser glaube. Die "Lüge" sei demnach essentiell für das Gelingen. Nicht nur für sein Schreiben, auch im Privaten, hält Köhlmeier die Lüge für unverzichtbar. Denn wer sich an die Wahrheit kette, der gebe sein Recht auf die Wahrung eines Geheimnisses auf und beraube sich somit einer Entscheidungsmöglichkeit in Bezug auf die Konsequenz seines Tuns.
Hier widersprach Agnes Heller vehement: "Diese Dinge gehören nicht zusammen!".
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Michael Köhlmeier |
Zuallererst müsse man Grundlegendes klären: "Wahrheit", was ist denn das überhaupt? Im Sinne des kritischen Empirismus nach Karl Popper, kann als tatsächlich "wahr" nur das angesehen werden, was falsifiziert wurde, das heißt definitiv inexistent oder eben "unwahr" ist. Viel wichtiger für die eigene Lebensführung sei jedoch die Wahrhaftigkeit – das was man selbst für wahr halte. Der eigenen innerlichen Faktenlage müsse man im Moment des Aussprechens entsprechen. Nicht mehr und nicht weniger, so die Philosophin. Außerdem müsse zwischen dem Verschweigen von Tatsachen und dem Verbreiten einer Unwahrheit unterschieden werden.
Auch aus dem Publikum kamen entschiedene Gegenstimmen zu Michael Köhlmeiers Theorie der Lüge um der Freiheit willen: Heide Schmidt hielt etwa ein Plädoyer wider die Unwahrheit: Die Grenze zum Unmoralischen sei auf jeden Fall dort zu ziehen, wo sie das Interesse des Gegenübers beschneide, so die ehemalige Politikerin.
Wahrheit und Politik – diesem breiten Feld wurden auch einige spannende Gedanken gewidmet. Während die Demokratie durch die Mehrheit legitimiert ist, ist die Berechtigung der Tyrannei der Wahrheitsanspruch, so Michael Köhlmeier. Agnes Heller sah auch dies etwas differenzierter: Den Wahrheitsbegriff der Politik könne man nicht mit der "geoffenbarten Wahrheit" an sich vermischen. "Ein Terror der Wahrheit" somit eine contradictio per se.
Doch was blieb nun von diesem Abend, an dem so unterschiedliche Ansichten aufeinanderprallten? Viele interessante und auch radikale Denkansätze die in den Köpfen der ZuhörerInnen rumorten, so zumindest der Eindruck kurz nach der Diskussion. Und nicht zuletzt die Erkenntnis: Sogar die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters.
Der nächste Bank Austria Salon im Alten Rathaus
zum Thema GRENZEN findet am 19.März statt.
Text: Magdalena Hiller
Fotos: Oreste Schaller
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