Dienstag, 15. November 2016

Wenn's rauscht im Pillenwald



Bereits Anfang dieser Woche stieg mir beim Durchforsten der Online-Bild-Verbreitungsdienste schlechtes Gewissen in die Fersen. Fungierte im Rahmen der Wiener Festwochen das Bad im Kugelmeer als soziale Interessensbekundung, ist im Bank Austria Kunstforum Wien eindeutig der Kippenberger’sche Birkenwald elementar pupillenerweiternd – auf beiden Seiten der Kamera. Meine selektive Wahrnehmung suggerierte mit treffsicherem Plattschuss, dass sämtliche Bekannte bereits bei XYZ waren.


Und ja. Selbst geschätzte Meinungsgeneratoren wie Diedrich Diederichsen, der zusammen mit Kuratorin Lisa Ortner-Kreil vor zwei Wochen durch ein ausverkauftes Ausstellungsevent führte, fielen derzeit bei mir in die Holzschublade der missed opportunities.



Beim dieswöchigen Kultur-Rundumschlag, der am Samstag das bereits etablierte Pop Up Konzert fortsetze, gab es nun somit wirklich keine Ausrede mehr. Geködert wurden Platzhirsche der hiesigen Kulturlandschaft. Kippenberger-Fan Tex Rubinowitz, der einzige Mensch mit Bachmannpreis, der ganz in Weiß mit nur 1 Plattenspieler auflegen darf und kann, machte Lesung
Fritz Ostermayer, Chef dieser großartigen schule für dichtung und Radiomacher, machte mit Ann Cotton absichtlich schlechte Poesie und noch schlechtere Musik





Interessierte gab’s am Samstag bei diesem Dialektpoet laut Facebook-Veranstaltung im Vorfeld jenseits der Tausender-Grenze. Zum Konzert durften dann allerdings nur wenige. Es gilt ja auch sicherzustellen, dass nichts gerodet wird. Gebrannt hat schlussendlich dann zum Glück nichts, auch kein Birkenwald, geleuchtet vieles. Neben den, vermutlich nur von der Novemberluft angemalten, roten Backen, eh auch die Augen. Lässt man den Umstand der Exklusivität, der natürlich bei sowas gerne mitflimmert beiseite, ist es immer vielversprechend, Musikmacher in einem so einzigartigen Rahmen zu erwischen.

Bei Voodoo Jürgens erspürte sich das im Kunstforum dann doppelt: Zum einen konterkariert die Opulenz der Installationen und Tableaus des Trashkönigs Kippenbergers eindrucksvoll die Reduktion des Voodoo-Arrangements und der seit bereits bei einem seiner ersten Konzerten im Cafè Dezentral etablierten Strizzi-Introvertiertheit. Zum anderen geben sich hier schon auch zwei Brüder im Geiste den goldenen Schuss in die Hand. Von allen Ecken schreit die Sprachlichkeit. Voodoo erweitert die Wortspielereien mit dem direkt aus der Wiener Dialektursuppe gedrehten Inhaltsangaben gemischt mit ein bisserl Englisch. Und ja, war Kippenberger natürlich Parade-Provokateur, destillierte er auch seine Erfahrungen gerne in seine Kunst. In einer Kneipe in Berlin zusammengeschlagen schreibt er auf sein Bild mit blutiger Nase: „Dialog mit der Jugend“. Genau solche Elemente liefern auch den Figuren im poetischen Dialektwerk des Voodoo Jürgens den Stoff aus dem die Albträume sind. Das Bank Austria Kunstforum Wien hat also nicht nur seine Ansa-Panier für den Konzertabend angezogen, sondern auch inhaltlich vorbereitet und das richtige Programmheft erwischt.



Der Voodoo fühlte sich zwischen den gar nicht so angeschmierten Wänden des „weißen Raumes“ sichtlich gut aufgehoben. Die Farbkleckse spendierte die bunt zugepickt-punkige Wandergitarre und schaffte es mit fortschreitender Stanzerlliste die Schattengewächse, von den schwindligen Messerstichbuden des Fünfzehnten Hiebs in die Freyung umzutopfen. Vor den geistigen Augen schlurfen die komplexen Milieubeschreibungen direkt im von Pillen tapezierten Birkenwaldboden.


Mit Publikumshilfe wurde dann auch die auftretende Text-Unsicherheit beim "Gscheiden Bua" übertaucht. Stimmung trotz Sitzkonzert. Bezirksgrenzen verschwinden und geistige Trennlinien dünnen aus, wodurch ein guter Synästhesie-Hybrid entsteht, wenn diese Figuren aus dem Proll-Prekariat verwirrt im hellen Ausstellungshaus umherwandeln, verstört den Tresen zum Anlehnen suchend. Der befand sich allerdings beim Ausgang.


Beim Gratisbier von Nixe durfte da noch die Tullner Denkerrpose geübt und darüber sinniert werden, warum der Plattenvorrat so knapp bemessen war. Zwa de sich gern ham, mehr war des halt ned.





Text: Christoph Kranebitter
Fotos: Natalie Würnitzer


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