Mittwoch, 29. April 2015

Meuchelmord und Madrigal


So ein Blog ist ja theoretisch ein schnelles Medium. Vergangenen Donnerstag fand im Alten Rathaus der siebte Bank Austria Salon statt. Ein Beitrag dazu könnte schon am Freitag online gegangen sein, könnte man meinen. Wäre auch fast passiert. Doch da kamen mir Johanna Zugmanns gewitzte Ideen dazwischen. Das Wochenende verbrachte ich nämlich in Carlo Gesualdos Fängen. Und das kam so: 




Schon zum zweiten Mal gestaltete die studierte Gastrosophin einen Salon (der erste fand vergangenen Herbst zum Thema "Gastlichkeit" statt) und verknüpfte in gewohnt sinnlicher Manier das Thema des Abends, "Abgründe" mit den geladenen Gästen. Dieses Mal nahmen der Schauspieler Peter Simonischek und die Psychiaterin Eva Resinger am Podium des Barocksaals Platz. Expertise haben die beiden genug: Der eine stand mehr als hundertmal als Jedermann am Salzburger Kapitelplatz und grub sich in das Hirn des zu spät Geläuterten ein. Denn, so Simonischek: Wer seine Figur nicht liebt und versteht, kann sie nicht spielen. Auch Eva Resinger verbrachte viel Zeit mit dunklen Figuren, aber mit realen: So war sie betreuende Psychiaterin von Jack Unterweger und Helmut Frodl. 


Eva Resinger, Peter Simonischek,
Johanna Zugmann, Wolfgang Lamprecht
Die Ouvertüre des Abends bestritt Simonischek mit der Lesung eines Texts über Carlo Gesualdo, eine der berüchtigsten Gestalten der Renaissance. Und hier fing mein Verhängnis an. Ja, Gesualdo, schon oft gehört. Sphärische Madrigale schrieb der gute Mann und ein schlimmer Finger war er auch. Doch wie umfassend sein Einfluss auf viele große Köpfe der Neuzeit war, war mir so nicht bewusst.
So verfiel etwa Igor Stravinsky dem "Gesualdo-Fieber" und widmete ihm 1960 das Stück "Monumentum pro Gesualdo". Auch Aldous Huxley war ein Anhänger - auch wenn das Hören der Madrigale auf Meskalin laut seinen Angaben bleibende psychische Schäden hinterließ. Werner Herzog drehte 1995 eine (verzichtbare) Pseudo-Dokumentation namens "Tod für fünf Stimmen". Nicht weniger als elf Opern gibt es über den wilden Fürsten: Alfred Schnittke, Wolfgang Rihm, Salvatore Sciarrino, Marc-André Dalbavie - sie alle arbeiteten sich am dunklen Schatten ab. 
Berühmtheit erlangte er mit seinen Kompositionen, die die Harmonik ihrer Zeit über alle Maßen dehnten. Das was Richard Wagner für die Oper getan habe, hat Gesualdo für die geistliche Musik des 17. Jahrhunderts getan, sagen manche. 
Willibald Cernko bei der Begrüßung
Doch erst die Kombination von absoluter Genialität und abgrundtiefem Wahnsinn machte ihn zum unsterblichen Mythos: In der Nacht vom 16. Oktober 1590 meuchelte er seine Frau Maria d´Avalos, ihren Liebhaber Don Fabrizio Carafa, Graf von Andria sowie nach einigen Berichten deren gemeinsame uneheliche Tochter im Kindesalter. 
Ohne seine musikalischen Meisterwerke hätte ihn diese Tat zu einem einfachen Mörder gemacht. Und ohne seine Tat wäre er vielleicht nur ein geschätzter aber gesichtsloser Renaissance-Komponist. 
Mörder ja, Verbrecher nein, zumindest zu jener Zeit übrigens: Denn der von langer Hand geplante, unfassbar brutal ausgeführte Eifersuchtsmord des gehörnten Ehemanns war absolut legitim und wurde in adeligen Kreisen nicht geahndet. Lediglich die Rache der Familien der beiden Gemeuchelten hatte er zu befürchten und so zog er sich in seine düstere Burg sechzig Meilen östlich von Neapel zurück. 
Abseits all der Mystifizierung war das "Kavaliersdelikt" aber einfach nur Ergebnis einer fatalen Hilflosigkeit - wie bei fast allen Morden, so Eva Resinger. Man befindet sich in einer emotionalen Ausweglosigkeit der man nur durch die Beseitigung des "Verursachers" Herr werden kann. An so einen Abgrund kommt fast jeder Mensch einmal, das wusste schon Johann Wolfgang von Goethe. "Ich kann mir kein Verbrechen vorstellen, das nicht auch ich hätte begehren können." zitierte ihn Simonischek. Dieser Ausspruch könnte auch vom "Prinzen der Finsternis" Gesualdo stammen, nur ohne den Konjunktiv eben. 
Vielleicht ist das der Unterschied zwischen Genie und Wahnsinn: Die Intensität des bloßen Begehrens der Untat in sein Werk zu ziehen, ohne es wirklich zu tun. Goethe hat es schließlich auch als frommer Bürger in den Künstlerolymp geschafft. Genauso wie Claudio Monteverdi übrigens, der kurze Zeit später musikalisch noch viel weiter ging als Gesualdo - ganz ohne Meuchelmord.



Text: Magdalena Hiller
Fotos: Oreste Schaller

Hier noch ein ausgesprochen leseswerter Artikel zu Carlo Gesualdo aus dem New Yorker.
Und hier der Link zur Werner Herzogs  etwas wirrer Mystik-Doku "Tod für fünf Stimmen". 
Und hier kann man Teile der auch im Salon gespielten  "Responsoria 1611" nachhören.


1 Kommentar:

  1. Gratulation - nicht nur der Inhalt des Salongesprächs ist bestens zusammengefasst. Der Beitrag wird dem Thema auch atmosphärisch wunderbar gerecht.

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