Da hatten
die Selbstportraits der russischen Avantgardisten, die im Rahmen der
Ausstellung „Liebe in Zeiten der Revolution“ derzeit an den Wänden des
Kunstforum Wiens hängen, echt etwas zu schauen gestern. Anstatt Russendisko
schlug sich der intermediale Zugang in Form des Pop-Duos Lea Santee nieder, die
ein intimes weihnachtliches Set inmitten der Künstlerpaare der
Oktoberrevolution spielten.
Dostojewski
nahm für seinen Charakter des Idioten unter anderem die Figur des Don Quijote
als Vorlage. So wie auch der Ritter von der traurigen Gestalt nicht im Einklang
mit sich und der Welt per se war, strebten auch die Russen im ersten
Jahrhunderdtrittel nach einer idealistischen Umwälzung: Gleichberechtigung der Geschlechter,
Akzeptanz von Homosexualität und legale Scheidungen wurden damals (1917/1918)
als fundamentale Grundpfeiler auserkoren. Ähnlich wie im Poststrukturalismus
wurden die bis dato als realitätsabbildenden Geschlechterrollen aufgebrochen.
Männlich muss nicht immer stark, weiblich nicht immer schwach sein. Auch das
herrschende Bild des Künstlers, den im dunklen Kämmerlein die Muse küsst, wurde
aufgeweicht, Gemeinschaft und Gemeinsamkeit entsprechend radikalisiert und
ausgeweitet.
Auch der Kunstbegriff selbst wurde weiter interdisziplinarisiert.
Bildende Kunst, Literatur und Musik nicht mehr als getrennte Arbeitsbereiche
empfunden, sondern als hybrides Blätterwerk, das den Output abfedert. Insofern
scheint es nicht wirklich verwunderlich, dass sich das Kunstforum Wien ein
Künstlerpaar in das Haus holt. Das Tiroler Duo, schmirgelt immerhin bereits
seit mehreren Jahren an ihrem Ideenkonglomerat bestehend aus Pop, Elektronik
und R’n’B. Die Songs sind dabei von derartig hohem Ausarbeitungsgrad, dass sie
den internationalen Vergleich nie scheuen müssen. Das beweist auch der
Sound-Cloud-Account. Dort gehen die Zählerstande bereits auf die 300.000 zu.
Nach den
einleitenden Worten der Kuratorin Heike Eipeldauer enterten dann auch gleich
Lea Santee die Bühne, die derzeit von den rayonistischen, kubo-futuristischen
und suprematistischen Werken Rodtschenkos und Stepanowas flankiert wird. Zwecks
Druckweitergabe wurde die traute Zweisamkeit Live um einen Drummer erweitert. Hätten
die Ausstellungstableaus bereits Staub angesetzt, der eröffnende Schlag auf
die Basedrum hätte diesen wohl sofort auf die Freyung geblasen. Eingetaucht
von rotem Licht präsentierte die fragile Frontfrau mit der stabilen Stimme samt
Anhang ihren extensiven Begriff von Pop. In einer dreiviertel Stunde wurde
alles was Santees elektronische Kompositionen so spannend macht durchdekliniert:
Flächige Synths gemischt mit Loops und Breaks, die sich direkt auf die
Synapsen legen. Auch ein Frank Ocean Cover, das Lea fast an die Grenzen ihrer
stimmlichen Komfortzone brachte, wurde abgeliefert. Das raumfüllende Publikum,
das wie in einem überfüllten Auditorium an den Raumwänden Spalier stand,
forderte dann auch noch die obligatorische Zugabe und wurde mit dem Berserker
Hopeless erhört. Nachher gab’s dann auch noch Bier. Da hab’ ich glaub ich, etwas
zu euphorisch zugelangt – Aber sei’s drum. Ist ja schließlich fast schon
Weihnachten. Und in dieser omnipräsenten Hektik, tut halt auch ein wenig Realitätsflucht
mal gut. Danke also, an das Kunstforum Wien, das hierfür gestern jedenfalls
die Möglichkeit gestellt hat.
Text und Idee: Christoph Kranebitter
Fotos: Alistair Fuller
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